Faktencheck Kassenfinanzen
Thomas Lang, Finanzexperte der IKK Südwest, hat sich die wichtigsten Meinungen angeschaut. Um Beitragszahler langfristig zu entlasten, spricht er sich in unserem Faktencheck für eine nachhaltigere Finanzierungsstrategie aus.
„Die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung steigen“
Nach aktuellem Stand geht man in der GKV im kommenden Jahr von einem Finanzierungsdefizit in Höhe von 17 Milliarden aus. Aufgrund der Inflation und der damit verbundenen Verteuerungen im Gesundheitswesen kann dieses Defizit höher ausfallen. Gemäß des Gesetzentwurfs des GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes (GKV-FinStG) ist dieses Defizit im Jahr 2023 unter anderem mit einer Erhöhung des Zusatzbeitrages um 0,3 Beitragssatzpunkte zu decken. Dies würde einem Deckungsbeitrag von ca. 4,8 Milliarden Euro entsprechen und nach Berechnungen der IKK Südwest zu einer Erhöhung der sozialversicherungspflichtigen Abgaben der Versicherten und Betriebe von bis zu 100 Euro pro Jahr führen.
„Der neue Gesetzentwurf ist ein guter Kompromiss“
Im Einzelnen lauten die vorgestellten Eckpunkte wie folgt:
- Der Bundeszuschuss an die GKV aus dem Bundeshaushalt steigt um 2 Milliarden Euro.
- Die GKV erhält ein Bundesdarlehen von 1 Milliarde Euro, das die Versichertengemeinschaft zurückzahlen muss.
- Der Zusatzbeitrag wird erhöht um 0,3 Beitragssatzpunkte (ca. 4,8 Milliarden Euro)
- Eine Erhöhung des Herstellerrabattes auf Arzneimittel (ca. 1 Milliarde Euro)
- Weitere Maßnahmen zur Erhebung von Effizienzreserven in Höhe von 2 Milliarden Euro. (unter anderem Bereinigung der Fallpauschalen um die „nicht bettnahen“ Pflegekosten; Abschaffung der höheren Vergütung für neue Patienten)
- Absenkung der Mindestrücklagen der Krankenkassen (ca. 4 Milliarden Euro)
- Abschmelzen von kassenindividuellen Finanzreserven (ca. 2,4 Milliarden Euro)
Es ist positiv zu bewerten, dass Leistungskürzungen und damit weniger Gesundheitsleistungen für Versicherte ausgeschlossen werden.
Aus unserer Sicht sind die Eckpunkte der Finanzierungsreform jedoch als enttäuschend zu bewerten, weil ein Großteil der Lasten durch einen Rückgriff in die Reserven der Kassen und eine Belastung der Beitragszahler und Beitragszahlerinnen (Arbeitgeber und Versicherte) erreicht wird.
„Die Corona-Pandemie verursacht die hohen Gesundheitskosten“
Die finanziellen Folgen der Covid-19-Pandemie haben nur sehr begrenzt zu dieser Entwicklung beigetragen.
Denn: ein Großteil der milliardenschweren pandemiebedingten Mehraufwendungen für Ausgleichszahlungen, Test- und Impfkosten werden aus Steuermitteln des Bundeshaushaltes finanziert.
Der aus Beitragseinnahmen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) finanzierte Anteil beläuft sich auf ca. 2,5 Milliarden Euro (von gegenwärtig rund 21 Milliarden Euro seit Pandemiebeginn).
Dem stehen Anhebungen des Steuerzuschusses in das GKV-System um 3,5 Milliarden Euro (2020) und 5 Milliarden Euro (2021) gegenüber, die dem Ausgleich sowohl der Mehraufwendungen als auch der pandemiebedingt schwächeren Einnahmenentwicklung dienen.
Gleichzeitig wurden die Krankenkassen in einigen Ausgabenbereichen durch eine pandemiebedingte, geringere Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen entlastet. So waren die Menschen in der Akutphase der Pandemie oft weniger in ärztlicher Behandlung oder kürzer in Krankenhäusern.
„Das Finanzdefizit hat die neue Bundesregierung nur geerbt“
In erster Linie ist ein strukturelles Defizit ursächlich für die gesetzlich bedingten Mehrausgaben in der gesetzlichen Krankenversicherung.
Das bedeutet, dass insbesondere die teure Gesetzgebung der vergangenen Legislaturperiode zu stark steigenden Ausgaben geführt hat. Dazu gehören insbesondere:
- strukturelle Veränderungen in der Arzneimittelversorgung (Wechsel zu neuen Medikamenten), die Jahr für Jahr zu Mehrkosten von jeweils über 3 Milliarden Euro führen.
- Das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz und das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG), die zu dauerhaften Mehrkosten von rund 5 Milliarden Euro pro Jahr führen. Kern des TSVG ist der Ausbau der Terminservicestellen als zentrale Anlaufstellen für Patientinnen und Patienten für ambulante Versorgung und für den Notfall. Zum Gesetz gehört zum Beispiel, dass Ärzte für Zusatzangebote besser vergütet werden. Auch die ärztliche Versorgung auf dem Land soll mit finanzieller Unterstützung der gesetzlichen Krankenkassen verbessert werden.
Noch etwas konkreter bedeutet das: Die mit diesen Gesetzen verbundenen Ausgaben haben dazu geführt, dass die Differenz zu den Einnahmen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern sowie Steuerzuschüsse in den vergangenen Jahren immer größer wurde.
„Der Ukraine-Krieg verschärft die Finanzsituation der GKV“
Aufgrund der steigenden Energiekosten und der Inflation werden die Preise auch für zum Beispiel Transportkosten und für Rohstoffe steigen.
Dies wird sich auf die Leistungsausgaben auswirken, da die Leistungserbringer (zum Beispiel Krankenhäuser und Ärzte, die ebenfalls höhere Energiekosten zu tragen haben) die Kostensteigerungen auf die Kassen umlegen werden.
„Die gesetzlichen Krankenkassen haben üppige Rücklagen, die sie abbauen können.“
Dies wurde und wird bereits getan. So hat die IKK Südwest bisher Rücklagen in Höhe von rund 20 Millionen Euro abgeschmolzen und diese dem Gesundheitsfonds zugeführt.
„Kassen trommeln für Senkung der Mehrwertsteuer auf Arzneimittel“
Die IKK Südwest spricht sich grundsätzlich für eine nachhaltige Regelfinanzierung anstatt zahlreicher und wenig planbarer Sonderfinanzierungen aus.
Nur so kann es gelingen, das Defizit nachhaltig zu reduzieren und Versicherte damit unter den aktuellen Lebensbedingungen mit steigenden Kosten nicht langfristig mit steigenden Beiträgen finanziell zu belasten.
Die Senkung der Umsatzsteuer auf Arzneimittel von 19 Prozent auf 7 Prozent ist aus Sicht der IKK Südwest, neben weiteren Maßnahmen, hierbei ein zentraler Baustein. Denn neben den Ausgaben für Krankenhausbehandlungen und für die ärztliche Behandlung im ambulanten Bereich gehören Arzneimittelausgaben zu den wichtigsten Kostentreibern im Gesundheitswesen und verursachen dadurch jährlich nicht nur mit die höchsten, sondern auch immer stärker steigende Ausgaben.
Das verdeutlicht auch die unten stehende Abbildung, die die Leistungsausgaben der IKK Südwest für das vergangene Jahr aufschlüsselt. Zum Vergrößern bitte auf das Bild drücken.