Finanzierungsprobleme bei der GKV

IKK Südwest fordert grundlegende Reform

Die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) steht vor immer größeren, finanziellen Herausforderungen. In den vergangenen Jahren sind die Ausgaben kontinuierlich stärker gestiegen als die Einnahmen, was zu einer mittlerweile fatalen Finanzsituation geführt hat. Gemeinsam mit allen Innungskrankenkassen fordert die IKK Südwest den Gesetzgeber auf, dieser Entwicklung dringend entgegenzusteuern.

IKKn fordern rechtliche Stärkung der GKV, um sich gegen staatliche Zugriffe auf Kassenfinanzen wehren zu können. V.r.n.l.: Jürgen Hohnl, Geschäftsführer IKK e. V., Prof. Dr. Jörg Loth, Vorstand IKK Südwest, Prof. Dr. Rainer Schlegel, Präsident des Bundessozialgerichts a. D., Hans-Jürgen Müller, Vorstand IKK e. V., Iris Kampf, Pressesprecherin IKK e. V

Auf der jährlichen Pressekonferenz des IKK e.V., die in den Räumlichkeiten der Bundespressekonferenz in Berlin stattfand, hat IKK-Südwest-Vorstand Prof. Dr. Jörg Loth heute (29.08.) gemeinsam mit den Innungskrankenkassen eindringlich Handlungsbedarf bei der Finanzierung des Gesundheitssystems sowie der rechtlichen Stärkung der gesetzlichen Krankenkassen und ihrer Selbstverwaltung aufgezeigt.

„Die Finanzierung des Gesundheitssystems befindet sich in einem Dilemma zwischen überproportional wachsenden Ausgaben und daraus resultierenden steigenden Zusatzbeiträgen für die Versicherten und für die Arbeitgeber. Gleichzeitig wird die empfundene Leistungsfähigkeit des Systems zumindest als rückläufig wahrgenommen. Zunehmend wälzt die Politik die Kosten für gesamtgesellschaftliche Aufgaben auf die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ab. Das ist verfassungsrechtlich höchst bedenklich und muss umgehend korrigiert werden“, kritisiert Prof. Dr. Jörg Loth, Vorstand der IKK Südwest.

Ein zentrales Problem sei, dass in den letzten Legislaturperioden kostenintensive Leistungsausweitungen beschlossen wurden, mit denen jedoch keine wesentliche Verbesserung der Versorgungsqualität einherging, mahnt Loth an. Beispiele hierfür sind das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) und das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz (PpSG), die zu Mehrkosten von rund 5 Milliarden Euro pro Jahr führen. Gleichzeitig wurden Steuerungsinstrumente für die Kassen eingeschränkt, etwa durch die Abschaffung von Ausschreibungen für Hilfsmittel oder die Einschränkung von Kontroll- und Prüfrechten im stationären Bereich durch das MDK-Reformgesetz.

Hinzu kämen, so der IKK-Chef, strukturelle Probleme, die zu hohen Kosten im Gesundheitssystem führen und oft vermeidbar sind. „Ein Beispiel hierfür ist die Notfallversorgung, bei der viele Bagatellfälle behandelt werden, die anderweitig versorgt werden könnten. Hier sind Reformen überfällig und Bund und Länder gefragt, um die Inanspruchnahme von Leistungen besser zu steuern und die Effizienz im Gesundheitssystem zu erhöhen.“

Staat entzieht sich Verantwortung

Der wahrnehmbare Reformstau, der zur Finanzproblematik führt, sei kein neuartiges Problem, so Loth. Staatliche Verbesserungen seien aber bis heute nicht eingetreten. „Bereits vor zwei Jahren haben wir als Innungskrankenkassen genau an dieser Stelle vorgeschlagen, die GKV an sogenannten Lenkungssteuern, zum Beispiel der Tabaksteuer, Alkohol-, Bier u. Schaumweinsteuer partizipieren zu lassen, da die sie auch die Lasten tragen muss, die durch den Genuss dieser Produkte entstehen. Wir reden hier von einem Einnahmevolumen von 14 Mrd. Euro jährlich, was einem Zusatzbeitrag von 0,8 Beitragssatzpunkten entspricht. Auch unserer sinnvollen Forderung nach einer Reduzierung des Umsatzsteuersatzes von 19 auf 7 % bei Arzneimitteln, wie das in nahezu allen EU-Ländern der Fall ist, was ebenfalls zu einer massiven finanziellen Entlastung unserer Versicherten und Betriebe führen würde, kommt man nicht nach. Ich gewinne mehr und mehr den Eindruck, dass sich der Gesetzgeber bei diesen zentralen Problemfeldern wegduckt“, erklärt der Vorstand der IKK Südwest.

Bis heute habe sich auch die prekäre Einnahmesituation der GKV nicht positiv verändert – im Gegenteil. Allein die Unterfinanzierung der Gesundheitsversorgung für Bezieher von Bürgergeld reiße jährlich eine Lücke von 9 Milliarden Euro in die Haushalte der Krankenkassen. „Die oft inflationäre Inanspruchnahme von Leistungen führt zudem zu teils hohen und vermeidbaren Kosten für die Versicherten und ihre Arbeitgeber. Steigende Beiträge werden für sie zunehmend untragbar”, klagt der Vorstand der regionalen Innungskrankenkasse weiter. Insgesamt sei festzustellen, dass die Finanzierungsverantwortung des Staates zunehmend einseitig auf die Beitragszahler abgewälzt wird. So sollen nach den aktuellen Planungen die gesetzlichen Krankenkassen 25 Milliarden Euro für den Krankenhaustransformationsfonds aufbringen, während die privaten Krankenversicherungen verschont blieben.

Die Innungskrankenkassen fordern daher eine grundlegende Reform der Gesundheitsfinanzierung. „Der Gesetzgeber muss endlich den verfassungsrechtlichen Grundsatz achten, dass Sozialversicherungsbeiträge das Binnensystem der Sozialversicherung nicht verlassen dürfen”, betont Loth. Die Politik sei nun gefordert, die Finanzierung der gesetzlichen Krankenkassen grundlegend zu reformieren. Dazu gehöre nach seiner Auffassung aber auch, dass die Krankenkassen stärker in Reformprozesse eingebunden und ihnen mehr Gestaltungs- und Prüfbefugnisse zugestanden werden.

Beiträge müssen im Binnensystem der Sozialversicherung verbleiben

Prof. Dr. Rainer Schlegel, Präsident des Bundessozialgerichts a. D., pflichtet diesem Anliegen bei und ergänzt: „Krankenkassen müssen auch die Befugnis haben, vor dem Bundesverfassungsgericht die Verfassungsmäßigkeit gesetzgeberischer Maßnahmen prüfen zu lassen, wenn die Möglichkeit einer Zweckentfremdung von Beitragsmitteln im Raum steht.” Auch zur Stärkung der Demokratie sei das Prinzip der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen grundgesetzlich zu verankern. Der Jurist unterstützt daher auch die Forderungen der Innungskrankenkassen. Diese verlangen, dass dem verfassungsrechtlichen Prinzip, dass Sozialversicherungsbeiträge das System der Sozialversicherung nicht verlassen dürfen, endlich Geltung verschafft werden müsse. Nur so könnten sich die Selbstverwaltungsgremien der Krankenkassen effektiv gegen staatliche Eingriffe in die Kassenfinanzen zur Wehr setzen.

“Es braucht einen ausgewogenen Ansatz, der die Gesundheitskompetenz der Patienten stärkt und gleichzeitig sinnvolle Strukturreformen fördert und steuert”, betont Loth. Nur so könne das Dilemma aufgelöst und ein nachhaltiges, patientenorientiertes Gesundheitssystem geschaffen werden. Die IKK Südwest appelliert daher an den Gesetzgeber, die Finanzierung der gesetzlichen Krankenkassen umfassend zu reformieren, um die Handlungsfähigkeit und Unabhängigkeit der Krankenkassen zu sichern. „Nur so können wir unsere Versicherten und Beitragszahler vor einer weiteren Überforderung schützen. Die Solidargemeinschaft hat ein Recht auf einen effizienten Einsatz ihrer Finanzmittel und eine zukunftsfähige Krankenversicherung”, betont Loth abschließend.